Im Interview: Jürgen Schmücking
Lieber Jürgen,
vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst für unser kurzes Interview.
Damit dich unsere Leser:innen besser kennen lernen, bitte um ein paar Worte zu deinen Aufgaben & Tätigkeiten?
Ich bin Journalist und Fotograf in den Bereichen Kulinarik, Gastronomie und Landwirtschaft. Ich schreibe für verschiedene Magazine in Österreich und Deutschland. Etwa für die Branchenmagazine Kalk & Kegel oder Lust & Leben, aber auch für den Feinschmecker. Meine wichtigste (weil umfangreichste) Rolle ist die des Chief Inspectors für den Restaurantführer Gault & Millau in Österreich und Südtirol. In dieser Rolle teste ich Restaurants, führe das Team der Tester und bin für die Qualität der Texte und Bewertungen verantwortlich. Wenn dann noch Zeit bleibt, schreibe (oder fotografiere) ich Bücher.
Kürzlich fand eine Buchpräsentation vom Kulinarikhotel Alpin ("Bewusst Tirol" Betrieb) im Genusswerk statt, wo sich deine Bilder wieder finden. Worum geht es im Buch?
Das Buch heisst "Alpins Speisekarte". Das Kulinarikhotel Alpin hat bald ein rundes Jubiläum und hat sich selbst das Buch zum Geschenk gemacht. Es ist eine Sammlung spannender Rezepte, die sowohl in dem mit 4 Hauben prämierten Gourmet Stüberl serviert werden wie auch solchen aus dem Genießerwirtshaus (2 Hauben). Zwischen den Rezepten werden Partnerinnen und Partner, also Produzentinnen und Landwirte vorgestellt, die mit den Gründlers, das sind die Inhaber des Alpin, zusammenarbeiten. Ich habe für dieses Projekt die Bilder geliefert.
Du verfügst über eine langjährige Erfahrung entlang der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette. Welche Chancen birgt die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft & Tourismus?
Ich betrachte das einmal aus meiner Perspektive. Also der kulinarisch-gastronomischen. Die zentrale Frage im Tourismus ist ja, wie genussfreudige und zahlungskräftige Gäste ins Land geholt werden können. Im Moment überlegen sich auf vielen Ebenen viele Menschen und Organisationen einiges dazu. Die Kooperation zwischen Tourismus- und Landwirtschaft ist dafür praktisch eine Grundvoraussetzung. Oder anders formuliert: die Spitzengastronomie kann nur dann spitze sein, wenn es eine ausreichende Versorgung mit hochwertigen Lebensmitteln und Produkten gibt, sowie eine Logistik, die diese Produkte auch verfügbar macht. Für ersteres ist die Landwirtschaft verantwortlich - und da sind wir auch auf gutem Weg. Zusammenarbeit bedeutet aber auch ein höheres Maß an Kooperation und Koordination zwischen beiden. Also zwischen Landwirtschaft und Gastronomie. Hier ist der Tourismus (bzw. die Gastro) in die Pflicht zu nehmen. Gemeinsames Entwickeln, langfristige (und vor allem zuverlässige) Partnerschaften sind gefragt. In der Spitzengastronomie wird das zu einem guten Teil bereits vorgelebt. Es muss aber noch viel stärker in die Breite.
Bei Gault&Millau arbeitest du als Chief Inspector mit mehr als 50 Restauranttestern zusammen. Tirol wird zur Freude vieler wieder einen Platz einnehmen. Was macht für dich persönlich die Tiroler Küche aus?
Sehr dünnes Eis ;-)
Man kann eine regionale Küche natürlich auf ein paar ikonische Gerichte oder Rezepte reduzieren. Die Frage ist, wie sinnvoll das ist. Angenommen, ich sage, typisch für die Tiroler Küche sind Gröstl, Kiachl oder Zillertaler Krapfen. Das stimmt zwar, ist aber für mich keine erfüllende Antwort. Vor allem hilft es jenen Köchinnen und Köchen nichts, die sich klar der kulinarischen DNA Tirols verschrieben haben, aber mit mehr Kreativität und Innovationskraft an ihr Kochen herangehen, als für Moosbeernocken oder Kaspressknödel notwendig wären. Nur, um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen. Ich liebe die Klassiker. Und jeder, der sich "Tiroler Küche" auf die Fahnen heftet, muss sie handwerklich draufhaben. Aber die Tiroler Küche ist mehr. Sie kann auf ein Füllhorn herausragender Rohstoffe zurückgreifen. Auf solides Lebensmittelhandwerk und auf Ressourcen, die im alpinen Raum einzigartig sind. Man könnte es reduzieren auf: exzellente Produkte, solides Handwerk und Kreativität in der Weiterentwicklung der klassischen Rezepte. Das bereits genannte Alpin ist ein wunderbares Beispiel dafür.
Abschließend – was möchtest du unseren Leser:innen noch sagen?
Genießen ist keine Privatsache. Das mag provokant klingen, gemeint ist aber, dass Essen immer eine politisch relevante Entscheidung ist. Das ist vor dem Regal im Einzelhandel nicht anders als im Restaurant oder Wirtshaus. Mit jeder Entscheidung gestalten wir den Markt mit. Tierwohl ist wichtig? Dann den Kellner so lange fragen, bis man die Information hat, die man braucht, um eine Entscheidung zu treffen. Frische Milch schmeckt ganz ohne Zweifel besser als jene, die uns als "länger frisch" angeboten wird. Also lieber zur richtigen Frischmilch greifen. Und notfalls danach fragen. Immer wieder. Das mag manchmal mühsam sein und nerven. Aber letztlich zahlt es sich aus.